Stellen wir uns kurz einen Philosophen vor. Spontan habe ich da einen älteren Mann mit Rauschebart und weißem Gewand vor mir. Das ist natürlich eine überholte Vorstellung. Dabei sollte ich es besser wissen, habe ich doch in meiner Studentenlaufbahn den ein oder anderen modernen Philosophen persönlich kennengelernt (für Aristoteles etc. war ich leider etwas spät dran). Irgendwie hat mich diese Wissenschaft aber immer ein bisschen abgeschreckt. Kluge Gedanken werden dort nochmals klüger verpackt und warten, fast wie ein Paket an Weihnachten, auf Entdeckung. Die Vorlesung zur Philosphie, die ich im Nebenfach belegen musste, war interessant, aber wenn ich ehrlich bin, könnte ich die Gedanken zu Moral und Ethik schwer noch wiedergeben. Obwohl der Dozent bemüht war und ich die Vorlesung auch interessant fand, hat es leider nur wenig davon ins Jahr 2010 geschafft. Warum ist das so? Diese Frage musst ich mir stellen, als ich über einen Artikel auf Spiegel Online auf die Vorlesung zur Politischen Philosophie in Harvard aufmerksam wurde. Michael Sandel lehrt dort und seine Veranstaltungen sind immer brechend voll. Die einzelnen Vorlesungen werden mitgefilmt und man kann sie auf der Seite in voller Länge ansehen. Beim gebannten Zuschauen wurde mir klar, warum mir Philosophie bisher eher als ein Buch mit sieben Siegeln erschien: Es war zu wenig greifbar, zu abstrakt und nicht in die Lebenswelt eingebunden. Sandel wählt eine andere Form der Aufarbeitung. Er setzt auf Szenarien, die er seine Studierende bewerten lässt.
Ist es beispielsweise okay, einen Menschen zu töten, wenn dadurch andere gerettet werden können? Die Studierenden werden herausgefordert im Diskurs mit den anderen Teilnehmern ihre Moralvorstellungen und dass, was sie für „richtig“ halten, kritisch zu hinterfragen und ggf. zu revidieren. Nach diese Phasen des Austauschs kommt Sandel trotzdem zurück zu den Wurzeln der Philosophie und berichtet über Sokrates, Locke und Co. Ich habe mit eine Vorlesung komplett angesehen (bzw. gehört – ich fand es nicht nötig, das Video komplett zu sehen) und fand es wirklich sehr spannend, wie er die Veranstaltung aufbaut und wie gebannt die Studierenden sich mit dem Thema Philosophie auseinandersetzen. Kritiker werden vielleicht einwenden, dass es eine „typische“ amerikanisierte Form des Edutainments ist, aber ich bin schon auch der Meinung, dass in diesem Fall der Zweck die Mittel heiligt. Außerdem kommen die Inhalte nicht zu kurz: Zum einen geht Sandel, wie gesagt, auf die verschiedenen Ursprünge der Philosophie ein – zum anderen gibt es zu jeder Veranstaltungen ausführliche Texte und Zusatzinformationen, die man bei Interesse lesen und erforschen kann. Ich bin ja kein Fan von guten Vorsätzen, aber vielleicht nehm ich mir ein bisschen vor, ab und an auf diese Seite zu gucken und meinen Geist philosophisch zu fordern. Kann ja nicht schaden. 😉