Dieses Semester belege ich an der VHB einen Kurs über die Medienwelten von Kindern und Jugendlichen. Das letzte Modul drehte sich dabei um Stereotypen und Vorurteile. Heute morgen bin ich mit der dort besprochenen Problematik mal wieder live und in Farbe konfrontiert worden. Beim eigentlich netten Smalltalk mit einer schätzungsweise Mittsechzigerin ging es zuerst um die Kälte, worauf wir zum Autofahren und dem mangelnden Willen Mancher sich Winterreifen zu besorgen kamen. Bis dahin – alles ganz harmlos. Dann kam die Dame zum Fahren im Kreisverkehr und dass es ja unglaublich sei, wie viele Leute die dort herrschenden Regeln nicht checken würden: „Besonders die Türken-Weiber“. Here we go… Meine Antwort: „Ja mei, was soll ich jetzt dazu sagen, ich bin selbst eine halbe Türkin“. Entsetztes Schweigen. Dann: „Ja, das macht ja nix. Meine Kinder sind auch mit Türken verheiratet“. Ja, klar…hmmm…macht dann natürlich Sinn… Sie plapperte dann munter über die pööösen Türken weiter (obwohl sie schon etwas irritiert schien). „Sowas kann doch nicht an der Nationalität festgemacht werden“, war mein Einwand dazu. Ich habe sie dann reden lassen, was soll ich denn dazu sagen? Wenn ihre eigenen Kinder es bisher wohl nicht geschafft haben sie von solchen Sprüchen abzubringen?
Die Grenze zwischen Vorurteil und Stereotyp ist fließend. Lippmann (1922:81) sagt, dass die Bildung von Stereotypen eine Strategie von Individuen ist, Komplexität in der wahrgenommenen Umwelt zu reduzieren und in einfachere Muster und Denkschemata einzuordnen.
„For the most part we do not first see and than define, we define first, and then see. In the great blooming, buzzing confusion of the outer world we pick out what our culture has already defined for us, and we tend to perceive that which we have picked out in the form stereotyped for us by culture.” (ebd.)
Ist der Horizont mancher Leute tatsächlich so beschränkt, dass sie nicht merken, was sie da eigentlich reden? Und vor allem: Wie soll ich auf so was reagieren? Reden lassen, oder in Verteidigungsposition gehen und kämpfen? Ich bin mir wirklich unschlüssig – grundsätzlich meine ich schon, dass man für seine Ideale und Werte einstehen muss – aber lohnt sich das auf so einer Ebene überhaupt?
Was ich mir an der Uni wünschen würde ist eine „Einführung in den Umgang mit Vorurteilen“. Klar, so wie in dem VHB-Kurs wird das theoretische Hintergrundwissen vermittelt, aber wie sieht es mit der Anwendungspraxis aus? Dadurch, dass mein Äußeres nicht sofort auf meine Herkunft schließen lässt und ich der deutschen Sprache mächtig bin, bekomme ich des Öfteren mit, wie Leute über Minderheiten ablästern. Ist das jetzt gut oder schlecht? Ich kann zumindest die Leute sofort konfrontieren – das Privileg hat die Mehrheit der Minderheit nicht. Aber die Kernfrage ist: Bringt es was?