Mut zur Stille

Aus aktuellem Anlass muss ich mal eben den Moralapostel raushängen lassen: Gestern hat sich in Augsburg ein Mensch das Leben genommen. An sich tragisch genug, dazu kommt allerdings, dass ich die Berichterstattung der lokalen Presse nicht sehr vorbildlich finde. Ich verzichte in diesem Fall bewusst auf die Verlinkung zu besagtem Artikel, aber ich sag mal so: Der Fantasie bleibt kaum etwas überlassen. Da fiel mir wieder mein VHB-Kurs ein und die Lektion über den „Werther-Effekt“ bzw. der Darstellung von Suiziden in den Medien. Im Rahmen dieser Lektion wurden die Richtlinien von Phillips und Lesyna (1995) vorgestellt, die den Umgang mit Selbsttötungen in der Berichterstattung thematisieren. Darin heißt es beispielsweise, dass in den Medienberichten

alternative Lösungsstrategien zum Selbstmord aufgezeigt werden sollen

die Überschrift nicht direkt auf die Tat hinweisen sollte

es zu keiner idealisierte Darstellung des Suizids kommen darf

keine Details der Tat beschrieben werden sollten

der Bericht nicht auf Seite 1 stehen sollte etc. pp.

Ich frag mich hier wirklich, ob es dem Leser dienen kann genaue Details zur Tat zu erfahren, bzw. die Berichterstattung tatsächlich bebildert und mit großer Überschrift publiziert werden sollte. Natürlich wird jetzt nicht jeder sich ein Beispiel nehmen und Selbstmord begehen, aber was ist, wenn man einen Labilen trifft, der es eben doch tut?

Eigentlich ist dieser Fall wieder nur ein geniales Beispiel für die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Praxis. Nicht, dass sich diese zwei per se ausschließen, aber oft hat man das Gefühl, es wird viel geforscht, richtiges und wichtiges gesagt, aber am Ende kümmert es doch keinen. So bleiben Richtlinien oder Ideen, wie die oben beschriebenen in der Schublade und werden allenfalls von Studenten der Medienwissenschaften wahrgenommen. (Aber ich bemühe mich im Kleinen diesen Zustand zu ändern 😉 )

Und: Natürlich ist die Pressefreiheit ein hehres Gut, dass es zu verteidigen gilt, aber manchmal sollte man sich die Freiheit nehmen, über manche Sachen etwas weniger ausführlich zu berichten.

 

Literatur:

Phillips, D. P. & Lesyna, K. (1995). Suicide and the media. Research and policy implications. In R. F. W. Diekstra, W. Gulbinat, I. Kienhorst & D. De Leo (Hrsg.), Advances in Suicidology Volume II: Preventive strategies on suicide (S. 231–261). Leiden: Brill.

 

Free your mind

Da sag nochmal einer, die Medien und das soziale Umfeld würden die Einstellungen von Kindern nicht prägen. Bei YouTube gibt es einen Clip der ABC News: Hier wurden amerikanischen Kids Bilder eines Arabers und eines Asiaten gezeigt. Für mich nicht verwunderlich, dass die Kinder überwiegend zugunsten des asiatischen Mannes votierten, obwohl die abgebildete Pose der beiden Männer identisch war. Seit dem 11. September hat die Skepsis gegenüber arabischen/islamischen Personen nicht nur bei den Amerikanern stark zugenommen – das überträgt sich natürlich auch auf die Kinder. Beim anschließenden Betrachten eines „caucasian“ vs. „african-american“ Mannes zeigte sich ein ähnliches Phänomen. Die Gruppe der Kinder hatte vor allem negative Assoziationen für den Mann mit schwarzer Hautfarbe übrig. Blöd bloß, dass der vermeintlich nette Mann der Oklahoma-Bomber ist…

6. Augsburger Mediengespräche

Gestern fanden im schönen Rathaus die 6. Augsburger Mediengespräche statt, die unter dem Motto „Medienkinder – wie viel Medien brauchen Kinder?“ standen. Der Saal war komplett gefüllt und das Publikum wartete gespannt auf Maybrit Illner, die als Moderatorin durch den Abend führte, sowie die Gäste aus Wissenschaft, Medien und Bildung. Die Positionen wurden relativ schnell klar: Da war auf der einen Seite ein Vertreter der Wissenschaft, der ein erstaunliches Gedächtnis für Zahlen bewies und von Forschungsergebnissen in Bezug auf Kinder und Medienkonsum berichtete. Dabei schaffte er es gekonnt zu polarisieren. Am Anfang hatte ich den Eindruck, er hält überhaupt nichts von neuen Medien whatsoever, allerdings relativierte er gegen Ende der Diskussion diesen Eindruck etwas, in dem er zugab, dass neue Medien durchaus positive Aspekte zu bieten hätten. Was mich wirklich irritiert und durchaus aufgeregt hat, war die platte Diskussion in Punkto „Killerspiele“. Alleine die Verwendung dieses Schlagwortes ist in meinen Augen unangebracht. Das es gewalthaltige Spiele gibt, ist nicht von der Hand zu weisen, aber für diese Sachen gibt es in Deutschland den Jugendschutz. Dass dieser eingehalten werden muss, steht natürlich außer Frage, aber die Vertreterin vom Bayerischen Staatsministerium war wirklich äußerst bemüht, diese Killerphrase so oft wie möglich zu verwenden. Dabei ließ sich wunderbar beobachten, wie die jüngeren Zuschauer vor Verzweiflung immer tiefer in ihre Stühle rutschten und die anderen Herrschaften interessiert die Ohren spitzten. Und da liegt das Problem: In einer Diskussion, die über den Umfang des Medienkonsums von Kindern handelt, darf es nicht sofort nur noch um Killerdings hier und böses TV dort gehen. In zwei Nebensätzen wurden die positiven Seiten der Medien (ich spreche jetzt von analogen Medien UND digitalen Medien) erwähnt – eigentlich schade. Ein Kind ohne Medienkompetenz wird sich in Zukunft schwerlich behaupten können – so ist zumindest meine persönliche Meinung. Letztendlich war das Gespräch also wenig fruchtbar. Was ist denn nun die Quintessenz? Wie lange dürfen sich Kinder mit Medien beschäftigen? Einig wurden sich die Anwesenden jedenfalls nicht. Besonders schön fand ich die Aussage eines ehemaligen Lehrers, der richtigerweise gesagt hat, dass die Personen, um die es in dieser Diskussion geht, wahrscheinlich den Fernseher gleich ausmachen würden, wenn sie die Aufzeichnung sehen. „Vor allem weil hier auf so hohem Niveau diskutiert wird.“ Wer sich näher für das Thema interessiert, kann ja auch mal hier lesen.